Dienstag, 24. April 2012

Der Kern des Problems: Fremdbestimmte Leistungs-Zeiten

Die Ursache der meisten Probleme mit ADS im Alltag.
Wie dies im Sommer 2011 zu meinem Burnout führte, und wie ich ihn hätte vermeiden können.



Ich habe heute in meiner Mittagspause einen Spaziergang im Park unternommen, zusammen mit einem Kollegen, mitdem ich auch privat gut befreundet bin.
Beim gemeinsamen Gespräch, welches ursprünglich von ganz anderen Themen handelte, kamen wir irgendwann darauf, was an meinem Gehirn aufgrund von ADS anders läuft, und welche Auswirkungen das auf mein Leben hat.
Ich schilderte ihm einen Teil meiner Vergangenheit, was mir plötzlich, aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, völlig neue Erkenntnisse bezüglich meiner Probleme warf, die ich von Juni bis August 2011 in diesem Blog geschildert hatte.

Ich habe mich damals tatsächlich kaputt gearbeitet.
Meine Arbeitsweise ist heute eine völlig andere, welche aber nicht in jedem Unternehmen möglich ist.

Meine Leistungsfähigkeit unterliegt deutlich stärkeren Schwankungen als die eines Menschen ohne ADS.
In den "guten" Phasen bringe ich aber oft überdurchschnittliche Leistungen.
Wenn meine Leistungsfähigkeit, bzw. meine Konzentration soweit nachlässt, dass ich nicht mehr weiter arbeiten kann, ohne Frust zu erfahren, lege ich nun eine Pause ein. Solch eine Pause kann unter Umständen auch mal eine Stunde dauern, an wenigen Tagen sogar mehr als 2 Stunden ...
Die Zeit zähle ich nicht als Arbeitszeit und bleibe Abends entsprechend länger, um auf 8 tatsächlich geleistete Arbeitsstunden zu kommen. Zusätzlich mache ich an den guten Tagen grundsätzlich eine Überstunde, um damit die Tage abfangen zu können, an denen es weniger gut läuft.
Mein Aktueller Arbeitgeber gestattet mir diese Arbeitsweise, denn wichtig ist nur, dass ich das Wochenziel erreiche.
So bleibe ich zwar ungewöhnlich Lange im Betrieb, doch schaffe ich mir so eine angenehme Arbeitsatmosphäre, bei der mein volles Leistungpotential entwickeln kann.

Im Sommer 2011 sah das anders aus:
Aufgrund dessen dass meine Arbeit in viel kleinere Einzelprozesse aufgeteilt war, welche fast alle auch noch sehr zeitkritisch waren, war eine solche Pausenreiche Arbeitsweise nicht möglich. Es gab eine Mittagspause, aber die lag nicht immer genau dort, wo ich gerade eine Pause benötigt hätte.
Mit der Zeit ließ meine Leistung immer mehr nach. Ich bekam Angst um meinen Job. Und aus Angst um meinen Job begann ich unbewusst, mich zu noch mehr Arbeit zu zwingen, die genauso ineffektiv war.
Ich kam früh zur Arbeit, ging spät nach Hause, aber ich arbeitete die ganze Zeit durch, ohne mehr Arbeit zu schaffen.
Ich konnte nicht in das Arbeitschema wechseln, welches ich jetzt erfolgreich anwende, da ich immer wieder die zeitkritischen Prozesse vor mir sah.
Zwar hätte ich mir kleine Pausen gönnen können, aber nicht die ausgedehnten Pausen von teilweise mehreren Stunden, sie ich sie mir jetzt gönne. Denn ein Serverausfall nimmt keine Rücksicht darauf, ob der Administrator gerade eine "gute" Phase hat. Der Fehler muss binnen kurzer Zeit behoben sein, sonst muss der Arbeitgeber Vertragsstrafen gegenüber seinen Kunden zahlen.
Meine notwendigen Pausen wurden also immer wieder unterbrochen, von Dingen, die Priorität hatten. Ich arbeitete Mehr und mehr, um mein schlechtes Gewissen ob meiner Ineffektivität und meine Angst um meinen Arbeitsplatz zu unterdrücken.
Ich meldete mich freiwillig für unliebsame nächtliche Wartungsaufgaben, die kein Kollege gerne machte, um so mein Ansehen beim Arbeitgeber zu steigern, aus dem Gefühl heraus, etwas wieder gut machen zu müssen.
Ich arbeitete und arbeitete ... und arbeitete ... bis ich nicht mehr konnte, und dann war er plötzlich da: der Burnout.

Gelernt habe ich daraus, dass ich einfach ungeeignet bin für Arbeitsplätze, auf denen ich zu fremdbestimmten Zeiten Leistung zu bringen habe.
Arbeitsplätze bei denen dies nicht so sind, sind vielleicht begrenzt, aber nicht unmöglich zu haben.
Mir geht es jetzt viel besser.

Die Einzige Frage, die sich mir heute noch stellt ist:
Warum habe ich das nicht früher gemerkt?
Ich hätte mir früher eingestehen müssen, dass dieser Arbeitsplatz als Admin in einem großen Hosting-Rechenzentrum nichts für mich ist. Die Zeitarbeitsfirma, für die ich damals arbeitete hätte mir bestimmt auch einen anderen Einsatzort gesucht, denn mein Burnout hat für die Firma sicher einen größeren Schaden bedeutet, als die Suche nach einer anderen Stelle gekostet hätte.
Ich hätte das kommen sehen können! Aber ich war Blind.

Ich hatte doch schon in der Schule diese Probleme.
Das Schulsystem ist nicht kompatibel zu jemandem, dessen Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit in diesem Maße stärkeren Schwankungen unterlegen ist als dem "Durchschnittsschüler".
Auch dort hat man zu fremdbestimmten Zeiten Leistung zu bringen. Denn die Notenfindung basiert auf einem sehr großen Teil auf Tests, Klassenarbeiten oder Klausuren. Künstliche Stichproben an denen ein Schüler innerhalb einer festgelegten Zeit Leistung zu erbringen hat. Keinen Interessiert seine Leistungsfähigkeit 30 Minuten vor oder nach dem Termin. Und wenn man wie ich solchen Leistungsschwankungen unterlegen ist, dann fängt man sich das ein oder andere "ungenügend" ein, obwohl man in den mündlichen Leistungen "sehr gut" benotet wird.
Kein Wunder, mündliche Leistungen werden über das gesamte Schuljahr bewertet, auf Grundlage der Meldungen und der Mitarbeit im Unterricht. Der Schüler meldet sich dann, wenn er gerade eine Idee hat, also dann, wenn er gerade eine "gute" phase hat. Die qualität der Meldungen entspricht dann dem wahren leistungsstand des Schülers...

Genau dieses Bild habe ich zu Schulzeiten immer wieder bei mir selber beobachtet.
Daher hätte ich doch wissen müssen, dass ich Probleme damit habe, zu fremdbestimmten Zeitpunkten Leistung bringen zu müssen.
Ich hatte den Eintritt in das Berufsleben als Befreiung empfunden. Ich hatte keine fremdbestimmten Leistungs-Zeiten mehr. Und alles lief bestens!
Jetzt arbeite ich wieder für genau diesen Arbeitgeber, bei dem einst meine Karriere begann.
Ich hatte den Job ja lediglich unverschuldet aufgrund der Wirtschaftskriese 2008/09 verloren ... jetzt hab ich ihn zurück, und alles ist bestens!

Doch ich fürchte, die Arbeitslosigkeit, in der es mir sehr schlecht ging, hatte mir so sehr geschadet, dass ich erstmal jeden Job genommen habe, ohne darauf zu achten, ob er mir liegt.
Nur warum habe ich dann nicht rechtzeitig in diesem Job bemerkt, dass ich eine Änderung brauche?
Dies ist für mich das letzte Rätzel zum Thema, wie es zu meinem Burnout kommen konnte.

Mittwoch, 4. April 2012

Der „Bald hast Du es Geschafft“-Kasten

Hier ein Tip, den ich heute meiner Frau gegeben habe, die mit ihrer ADHS oft Probleme in der Ausbildung hat.
Sie steht immer vor dem Problem, dass sie nur sieht, wieviel Arbeit noch zu tun ist. Der scheinbar riesige Berg an Arbeit entmutigt sie.
In ihrem Konkreten Fall geht es darum, dass sie öffter mal Leerlaufzeiten hat, die sie damit füllen sollte, Berichte zu schreiben.
Doch ist sie mit den Berichten in Rückstand geraten und ist nun entmutigt von der Größe des angehäuften Berges noch ausstehender Berichte.

Doch wie heißt es so schön?
"Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt."
Allen, die das Problem haben, sich von der scheinbaren Menge an Arbeit entmutigen zu lassen, kann ich empfehlen, folgendes einmal auszuprobieren:



Der „Bald hast Du es Geschafft"-Kasten

Teile Deine Aufgaben in kleine Einheiten auf, die man binnen einer überschaubaren und nicht nervenden Zeit erledigen kann.
Schreibe diese Einheiten auf Karteikarten, und stecke sie in einen Karteikasten.
Wichtig: Stecke alle leeren Karteikarten, die Du hast auch in diesen Karteikasten, hinter die Aufgaben!
Nun versuch zu vergessen, wie viel Arbeit in diesem Kasten steckt.
Mach Dir lieber bewusst, dass der größte Teil der Karteikarten in dem Kasten leer ist.
Das fördert das Positive denken.
Nun mache, wenn du gerade nix zu tun hast die Aufgabe auf der ersten Karte.
Lege die Karte vor den Karteikasten und schließe den Kasten.
Arbeite sie ab.
Wenn Du unterbrochen wirst, lege die Karte auf oder unter den Kasten, und nimm sie wieder hervor, sobald Du wieder nix zu tun hast.
Wenn sie fertig ist, stelle die Karte mit der unbeschriebenen Seite nach vorn, ganz hinten in den Kasten.
So arbeitest du immer nur die „nächste" Aufgabe ab.
Ohne den Druck, wie viele Aufgaben noch vor Dir liegen.
So kannst Du dich immer nur auf den nächsten Schritt konzentrieren.
Was nützt es Dir am Fuße eines Berges zu stehen, zum Gipfel zu schauen und zu denken „da komm ich nie rauf"?
Schritt für Schritt kommst du dem Ziel näher.
Und irgendwann nach einer endlichen Menge an weniger anstrengender Arbeit (weil der Druck geringer ist) kommst Du an den Punkt, an dem Du auf einmal eine leere Karte ziehst.
Dann hast du es geschafft :-)

PS:
Wenn Du den Kasten nun umdrehst und von hinten beginnend durchblätterst, bekommst Du so positives Feedback, wie viel Du schon geschafft hast.
Wichtig ist, auszublenden, wie viel noch „fehlt".
Immer daran denken „Die meisten Karten sind eh leer, lange kann es nicht mehr dauern".

PPS:
Füge dem Kasten keine neuen Aufgaben hinzu. Das entmutigt, denn du merkst zum einen, dass die Aufgaben mehr werden, und zum anderen musst Du die Illusion des "Bald fertig" zerstören indem Du die Stelle suchst, an der die leeren Karten beginnen.
Der Kasten ist nicht für Aufgaben mit hoher Priorität geeignet, die machst Du am besten sofort.
Aufgaben mit niedriger Priorität schreibe erstmal wo anders auf.
Wenn der Kasten leer ist, gönne Dir erst eine Belohnung, und dann kannst Du einen neuen Kasten mit den bis dahin angelaufenen Aufgaben beginnen.